Shared Leadership – ein Führungsansatz in unserer volatilen Welt (Teil 2)

Dr. Wolfgang Karrlein

Shared Leadership benötigt Diskurse. Wie Serious Games diese in einer VUCA-Umgebung erfolgreich in Gang bringen, beschreibt dieser Beitrag.

Hände zweier sichtlich diskutierender Menschen über dem Spielplan eines Serious Games: Besonders als Brettspiel eignen sich Serious Games zum Initiieren von Diskussionen und zum Testen neuer Strategien. (Bild: canmas)

Besonders als Brettspiel eignen sich Serious Games zum Initiieren von Diskussionen und zum Testen neuer Strategien. (Bild: canmas)

„Wie aber gelingt die Einführung, wie kann das in der Praxis aussehen und worauf muss geachtet werden?“ Dies war die Schlussfrage des ersten Teils unseres Beitrages. Darin haben wir beschrieben, wie sich die VUCAisierung auf Geschäftswelt und Machtstrukturen auswirkt, warum Shared Leadership, also Partizipation und Empowerment, gefragt ist und warum Diskurse das Mittel der Wahl dazu sind. Der zweite Teil geht nun darauf ein, wie die Diskurse initiiert werden können und wie man mit Beharrungskräften, mikropolitischen Machtspielen und den Latenzen umgeht, damit deren bremsende Wirkung in den Hintergrund tritt.

Können Brettspiele helfen?

Serious Games, also Business-Management-Simulationen, in denen Managementtheorien erlebbar gemacht werden, bieten dafür nach unseren Erfahrungen eine hochwirksame Methode. Serious Games – vor allem als brettbasierte Version – schaffen eine vom Alltag in der realen Organisation unabhängige, aber ähnliche Realität. Sie sind von der Konzeption her äußerst interaktiv und zeichnen sich durch hohe Unmittelbarkeit aus. Die Teilnehmer kommen während der Simulation in intensive Diskussionen. Obwohl Regeln und Informationen allen in gleicher Weise offen liegen, sind die Wechselwirkungen, die durch die Bestimmungen erzeugt werden, nicht linear und die Ergebnisse von den Entscheidungen der Teams abhängig. Somit ist – ähnlich einem Gesellschaftsspiel – das Resultat auch bei identischem Teilnehmerkreis jedes Mal unterschiedlich.

Die Teilnehmer diskutieren innerhalb der Simulation nicht über das eigene Unternehmen, sondern über eines, das ähnlich aber doch weit genug entfernt ist, um einen anderen Blickwinkel zu bekommen. Dadurch können Tabus, blinde Flecken und Latenzen leichter durchbrochen und besprochen werden, als im realen Kontext.

Auch wenn die Simulationen gewisse Vereinfachungen machen oder unterschiedliche Schwerpunkte setzen, sind sie so gestaltet, dass sie anspruchsvolle und ähnliche Dilemmata und Entscheidungssituationen provozieren, wie sie auch in der Realität auftreten.
Da es in diesem spielerischen Kontext nicht um die eigene Organisation oder die eigene Position darin geht, sind die mikropolitischen Muster, die Machtspiele, in der Simulation pausiert oder zumindest abgeschwächt. Damit werden in den Diskussionen eher die unterschiedlichen Perspektiven auf die anstehenden Entscheidungen deutlich.
Die Simulation und die in ihr angelegte Dynamik erlauben es, dass man etwas ausprobieren kann: beispielsweise eine Strategie, die im echten Unternehmen als Tabu gilt. Dann beginnt ein Austausch darüber, unter welchen Prämissen diese in der Realität ansonsten undenkbare Strategie dennoch umsetzbar wäre. Tabubruch und Scheitern sind bei Serious Games möglich und auch erwünscht. Ein Lernen aus Fehlern in der Simulation und das nachfolgende Übertragen in die Wirklichkeit wird somit ebenfalls erleichtert.

Die Planspiele erlauben es, verschiedene Rahmenbedingungen bereits im Vorfeld an die Anliegen des Unternehmens anzupassen oder zusätzliche Bedingungen hinzuzufügen. Hier gibt es viele Möglichkeiten, wie die Spielregeln der Simulation mit den Fragestellungen des Unternehmens verheiratet werden können.

Den größten Hebel für neue Erkenntnisse und Perspektiven stellen die zwingend einzubauenden und bereits im Vorfeld konzipierten Debriefings und Transferphasen dar. Diese können auf sehr unterschiedliche Art und Weise gestaltet werden, beispielsweise über Case Studies oder Breakout-Gruppen. Sie sind es letztlich, die den größten Nutzen für das Übertragen von Überlegungen und Erfahrungen aus dem Kontext der Simulation auf die reale Organisation beisteuern.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Wie kann der als Grundlage für die Shared Leadership notwendige Diskursprozess konkret angestoßen werden? Dazu ein Beispiel aus unserer Praxis:
Ein Unternehmen baute in das Curriculum seiner Führungskräfteentwicklung ein mehrtägiges Modul mit einer komplexen Simulation (Celemi Enterprise) ein. Bei dieser geht es darum, in einem hoch kompetitiven Umfeld von sechs Unternehmen, die jeweils von einem Team repräsentiert werden, eine Marktstrategie zu entwickeln und sie in ein passendes Kunden- und Leistungsportfolio umzusetzen. Dabei werden in den Gruppen beispielsweise folgende Fragen diskutiert:

  • Was sind wir?
  • Wo stehen wir?
  • Was tut sich im Umfeld?
  • Wie wollen wir agieren, um in welche Richtung zu gehen?
  • Worauf müssen wir achten?
  • Was müssen wir tun, um mit unseren Leistungen und Produkten entsprechend präsent zu sein?

Während und nach dem Serious Game kommen hochrangige Führungspersonen dazu. Dabei geht es dann um die Präsentation der Gruppen im Planspiel, aber noch intensiver darum, welche Ideen und Denkanstöße bis hin zu konkreten Maßnahmen alle Teams für die Weiterentwicklung des jeweiligen Unternehmens sehen. Während der Simulation, werden auch immer wieder Ansätze ausprobiert und Überlegungen diskutiert, die mit der gegenwärtigen Ausrichtung des realen Unternehmens nicht viel Deckung haben und dort auch nicht angesprochen werden können. Diese Diskurse über alternative Strategien setzen Impulse, die über die Debriefings über das Serious Game hinaus auf Gegebenheiten im realen Unternehmen einwirken. Und dies, ohne dass ein Tabu verletzt wird.

Das Top-Management fördert zum einen diese Diskussion aktiv. Darüber hinaus werden aber Ideen und Ansätze von den Teilnehmern aufgenommen und in Projekte im Rahmen des mehrmonatigen Trainings gegossen. Zu den Projekten gibt es einen Mentor aus der oberen Führungsebene, der als Sparringspartner, aber auch als Schutz gegen die bereits erwähnten Beharrungskräfte dient.

Es ist das Ziel über das Führungskräftetraining hinaus, dass solche Impulse von den Führungskräften in die Organisation weitergetragen werden, so dass in deren Verantwortungsbereich Empowerment gefördert wird. Dadurch dass die Führungskräfte diese Erfahrung von Empowerment selbst machen und erleben, steigt das Vertrauen in die Wirksamkeit.

Worauf ist dabei zu achten?

In diesem und dem vorhergehenden Beitrag haben wir gezeigt, dass es zukünftig auf Grund dessen was man mit VUCA-Welt bezeichnet, zu einem gravierenden Veränderungsdruck bei der Konzeption und den Aufgaben von Führung kommt. Eine Kernfrage dabei ist, unter welchen Bedingungen es gelingen kann, Diskussions- und Entscheidungsprozesse auf eine breitere Basis zu stellen, mehr Menschen aus der Organisation aktiv einzubinden und zu beteiligen. Wie kann ein verstärktes gefühltes und strukturelles Empowerment glücken?
Shared Leadership ist eines der Konzepte, die dies leisten können. Ein gemeinsames Zukunftsbild, gegenseitige Kooperation und Raum für den Diskurs sind wesentliche Voraussetzungen dafür.

Die dazu nötige Kultur lässt sich, wie viele Veränderungsansätze auch, nicht von oben alleine verordnen. Es ist ein Prozess, der gestartet und gegen Bewahrungskräfte wie Latenzen, Tabus und mikropolitische Machtspiele geschützt werden muss. Der Umgang mit diesen Kräften lässt sich am besten durch Initiativen gestalten, die als Experiment tituliert werden. Damit signalisiert man eine gewisse Offenheit und lässt bewusst einen Evolutionsprozess für die Initiativen und Ideen im Kontext der Unternehmenswirklichkeit zu. Dadurch können durchaus auch unterschiedliche Ansätze verfolgt werden. Die Menschen sollten diese aber als ernsthaft gemeinte Experimente erleben.

Simulationen mit einem hohen Anteil an Interaktionen können ein konkretes Vehikel sein, um solche Diskussionen zu initiieren. Sie bieten durch den realitätsnahen, aber doch simulierten Kontext einen Raum, in dem die Bewahrungsmechanismen minimiert werden. Durch Transferelemente ist es dann auch möglich, vorher nur schwer zu diskutierende Ansätze für das eigene Unternehmen anzusprechen.