„Erstmals mehr Automobile mit Benzinmotoren als Elektroautos auf den Straßen!“. So oder ähnlich könnte die Schlagzeile einer deutschen Zeitung Mitte der 1910er Jahre gelautet haben, die damals das Aus der Elektromobilität verkündet hätte. Denn Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war der Elektromotor die bevorzugte Antriebsart für Autos.
Das erste Elektroauto stellte M. Gustave Trouvé 1881 vor. Carl Benz reichte sein berühmtes Patent über den Benz Patent-Motorwagen dagegen erst 1886 ein. Und Lohner-Porsche zeigte auf der Weltausstellung 1900 in Paris ein Hybridauto. Noch 1910 gab es mehr E-Autos als Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor[1].
E-Mobilität ist wieder in aller Munde
Derzeit spricht man wieder viel über Elektroautos. Auf den Straßen zu sehen sind sie aber kaum. Was war geschehen? Die anfänglich bestehenden Nachteile des Benziners, wie beispielsweise die problematische Versorgung mit Kraftstoff und das gefährliche Anlassen von Hand, konnten unternehmerische Weitsicht und der Einfallsreichtum der Ingenieure rasch beseitigen.
Demgegenüber konnte man die Nachteile des E-Autos nicht so leicht aus der Welt schaffen. Eine geringe Reichweite, der man in den USA versuchte mit einem Netzwerk von Batteriewechselstellen zu begegnen, und das große Gewicht der Batterien waren auf Dauer gesehen nicht tragbar. Damit begann der Siegeszug des Automobils mit Verbrennungsmotor und das elektrisch betriebene Auto wurde zum Nischenprodukt.
Heute schwingt das Pendel wieder in die andere Richtung. Aus Umweltgründen wird verstärkt auf die E-Mobilität gesetzt. So sollen auf deutschen Straßen nach dem Willen der Bundesregierung bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos unterwegs sein[2], China will die Hersteller dazu zwingen, dass bis 2020 über 16% aller in China verkauften Fahrzeuge E-Modelle sind und Finnland überlegt ebenfalls gesetzliche Regelungen.
Die Industrie wandelt sich
Aber was bedeutet das für die Industrie? Das erste Ende der Elektroautos vor hundert Jahren hat sie gut überstanden. Und heute? Heute wird das Ende oder auch nur die Einschränkung der „Verbrennungsmobilität“ teilweise mit dem Untergang der deutschen Automobilindustrie gleichgesetzt. Unbestritten ist, dass dies einen großen Einschnitt bedeutet und Arbeitsplätze kostet. So schrieb NTV am 20.11.2016 in einem Artikel auf seiner Website[3], das die E-Mobilität bis zu 100.000 Stellen gefährdet, davon allein bei den Zulieferern mehr als 75.000. Die Zahlen schwanken und fallen zum Teil noch deutlich höher aus, je nachdem, wer die Einschätzung publiziert.
Die Verlustangst der Arbeitnehmer ist also nicht aus der Luft gegriffen, sie ist real. Denn ein Elektroauto besitzt eine wesentlich geringere Komplexität. Viele hochkomplizierte Baugruppen wie Verbrennungsmotor, Kupplung und Getriebe entfallen ganz oder teilweise, ebenso benötigt ein E-Mobil keine Komponenten zur Kraftstoffversorgung und zur Abgasbehandlung mehr.
Der den Verbrenner ersetzende E-Motor ist bedeutend einfacher im Aufbau, es sind deutlich weniger Teile zu fertigen. Zusätzlich neu benötigt werden nur Leistungselektronik und die Batterien. Dass dies, verbunden mit dem aufkommenden Übergang auf die Industrie 4.0, Stellen kosten wird, ist offensichtlich. Inwieweit neu entstehende Arbeitsplätze den Verlust in den althergebrachten Bereichen kompensieren können, bleibt abzuwarten.
Neue Techniken und Technologien werden entwickelt
Grundsätzlich ist diese Entwicklung durchaus spannend, neues tut sich auf. Es gilt, neue Techniken zu entwickeln und neue Technologien zu erforschen. Daher müsste eigentlich Aufbruchsstimmung herrschen. Aber warum bestimmt dann Katzenjammer die momentane Diskussion?
Zu der bereits angesprochenen Arbeitsplatzproblematik kommt hinzu, dass die klassischen deutschen Automobilhersteller derzeit nicht über das notwendige Know-how verfügen, sie sich dieses also erst noch erarbeiten müssen. So kommen beispielsweise die meisten Batterien aus Südkorea, eine deutsche Batterieentwicklung und -Produktion wird zurzeit erst diskutiert.
Zum anderen bedeutet der Wandel hin zur Elektromobilität eine Umstellung, eine weitreichende Veränderung. Und diese Veränderung betrifft nicht nur die Automobilhersteller, sondern auch die knapp 940 Zulieferer[4] und ungezählte Werkstätten in Deutschland.
Manche davon haben die notwendigen Schritte bereits eingeleitet. So hat Mahle, Marktführer bei Kolben und sonstigen Motorbauteilen, bereits 2014 den slowenischen Elektromotorhersteller Letrika übernommen, ZF fertigt eigene Elektroantriebe einschließlich Leistungselektronik und Werkstätten schicken ihre Mitarbeiter bereits auf Schulungen zum Thema E-Mobilität[5]. Dies alles ist kein „kann“, sondern ein „muss“. Wer sich selbst nicht wandelt, wird verschwinden.
Aber nicht alle Bereiche lassen sich schnell und einfach konvertieren. Hersteller von Werkzeugmaschinen für die Endbearbeitung von Kurbelgehäusen können nicht von heute auf morgen ein neues Tätigkeitsfeld finden. Zwar benötigt auch der Elektromotor ein Gehäuse, jedoch ist dieses bei weitem nicht so diffizil. Hier besitzen der Umbruch und die notwendige Veränderung eine ganz andere Dimension.
Der Umbruch muss begleitet werden
Damit Veränderung funktioniert, muss nicht nur das Management von der Notwendigkeit überzeugt sein. Sondern alle Mitarbeiter. Diese müssen die Zusammenhänge verstehen, die Ursachen und Wirkungen erkennen und ein gemeinsames Verständnis und Gesamtbild erarbeiten, um zielgerichtetes Handeln zu ermöglichen. Und hier kommt die Veränderungsberatung, das Change-Management ins Spiel. Denn diese sorgt dafür, dass die Führungskräfte nicht nur durch Business Coachings und Leadership-Trainings aktiviert werden, sondern letztlich auch verstehen, welche veränderte Rolle sie ausfüllen müssen. Sie haben in solchen ungewissen und dynamischen Veränderungssituationen die Aufgabe, Zusammenhänge zu verdeutlichen, das Gesamtbild zu skizzieren. Das bedeutet nicht, dass sie eine Antwort auf alle Fragen haben, was sich wie verändern wird. Das wäre auch nicht glaubhaft. Es geht darum, den Mitarbeitenden Einblicke in den aktuellen Stand, die vermuteten Entwicklungen und ersten Überlegungen zu geben, wie das Unternehmen damit umgehen könnte.
Die Stärke einer erfolgreichen Führung besteht heute darin, den Spagat zwischen der Definition des Rahmens und der Vermittlung von Sicherheit einerseits und der Schaffung von Freiräumen für die Kreativität und das Wissen der Vielen andererseits zu meistern. Dazu müssen sie Unsicherheit und Ambiguitäten aushalten. Sind sie damit erfolgreich, besteht die Chance, glaubwürdig die Mitarbeitenden mitzunehmen und aktiv einzubinden, um bessere und passendere Lösungen für die Zukunft zu gestalten.
Aber das Veränderungsmanagement darf sich nicht nur auf das Geben von Impulsen beschränken. Es muss während der Umsetzung der Veränderungsprogramme ein steter Begleiter sein und als Lotse zur Verfügung stehen, wenn es gilt, mit widersprüchlichen Prognosen und Entwicklungen umzugehen. Der Markt und die politischen Rahmenbedingungen sind heute hochdynamisch und der Prozess sollte kontinuierlich nachjustiert werden. Man darf nicht vergessen: Erfolgreiche Veränderung beginnt bei den Menschen! Wird dies beachtet, so wird die (Neu-) Einführung der Elektromobilität nicht nur gelingen, sondern ein Erfolg!
[1] http://www.elektronikpraxis.vogel.de/meilensteine-der-elektronik/articles/545005/ zuletzt abgerufen am 29. Mai 2017
[2] https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Themen/Energiewende/Mobilitaet/podcast/_node.html zuletzt abgerufen am 29. Mai 2017
[3] http://www.n-tv.de/wirtschaft/E-Mobilitaet-gefaehrdet-bis-zu-100-000-Jobs-article19136246.html zuletzt abgerufen am 29. Mai 2017
[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/253827/umfrage/anzahl-der-betriebe-in-der-automobilindustrie/ zuletzt abgerufen am 29. Mai 2017
[5] http://www.sueddeutsche.de/bayern/arbeitsplaetze-die-belegschaft-schlaegt-alarm-1.3245293 zuletzt abgerufen am 29. Mai 2017