Einfache Komplexität und die Führung

Haben Sie Lust auf ein kleines Experiment? Es gibt dabei etwas zu gewinnen: nämlich einen Gedankenanstoß, was die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung (Stichworte: Internet of Things / IoT, Industrie 4.0, mobiles Internet, usw.) für das Führungsverhalten bedeutet.

Führung in Zeiten der Komplexität

Immer wieder liest und hört man, dass unsere Welt verstärkt komplexer wird. Der ursprünglich in den neunziger Jahren vom amerikanischen Militär geprägte Ausdruck VUCA (Volatility / Volatilität – Uncertainity / Unsicherheit – Complexity / Komplexität – Ambiguity / Ambiguität) wird heute in der Wirtschaft als Akronym für diese Entwicklung verwendet. Von dem, was mit Digitalisierung und Vernetzung gemeint ist, wird (zu Recht) abgeleitet, dass es zu Systemen führt, die aufgrund ihrer Komplexität nicht mehr verlässlich vorhersagbar sind. Vielfach geht man in der (derzeit) gängigen Vorstellung von Management und Strategie davon aus, dass die Entwicklung weiterhin mehr oder weniger (linear) planbar ist. Auch Führung wird noch immer als durch das Highlander-Prinzip („Es kann nur einen geben“) beschrieben verstanden. Dieser „Eine“ legitimiert sich durch besseres Wissens und weiter reichende Vorausschau als derjenige, der die Richtung vorgibt. Und es wird dabei erwartet, dass alle die Überlegungen verstehen und nachvollziehen können und dann folgen. Oder, wenn das nicht der Fall ist, dennoch gehorchen und folgen. Nur, in der „VUCA-Welt“ funktioniert das immer weniger.

Das Experiment

Um das Phänomen der Komplexität an einem einfachen Beispiel zu verdeutlichen, möchte ich hier ein kleines Experiment mit Ihnen machen. Stellen Sie sich vor, Sie diskutieren nacheinander mit zwei Menschen. Weil es Ihnen wichtig ist, dass Ihr Gesprächspartner auch versteht, was Sie von ihm wollen, fragen Sie nach, was er verstanden hat. Dabei sollen Ihre Anliegen mit A, B, C oder D repräsentiert werden. Die andere Person gibt in ihren Worten wieder, was sie erfasst hat. Dies wird durch 1, 2, 3 und 4 repräsentiert. Dabei entspricht A 1, B 2, C 3 und D 4. Wenn Sie also A sagen und die Person 1 verstanden hat, passt das.[1]

Bei der ersten Person nimmt das Gespräch bezüglich des Verständnisses den folgenden Verlauf:

Die Kommunikation zwischen Ihnen und der Person 1 ist eindeutig und nachvollziehbar. Auf jedes Vorhaben wird mit dem gleichen Verständnis geantwortet.

Die Kommunikation zwischen Ihnen und der Person 1 ist eindeutig und nachvollziehbar.

Wenn Sie nun erneut A sagen, was wird wohl die Person verstehen?

Nun zur zweiten Person. Hier verläuft die Konversation so:

Die Kommunikation mit der Person 2 scheint gestört zu sein, läßt sich doch das Antwortverhalten nicht eindeutig vorhersagen. Daher läßt sich die Antwort auf die Frage "A" auch nicht prognostizieren.

Die Kommunikation mit der Person 2 scheint gestört zu sein, läßt sich doch das Antwortverhalten anscheinend nicht eindeutig vorhersagen.

Zunächst ist offensichtlich alles in Ordnung. Aber bei C beginnt ein Bruch im Verständnis. Und selbst wenn Sie dann B nochmals erklären, hat es den Anschein, dass Ihr Gegenüber dies anders versteht, als beim ersten Mal. Mit der ersten Person scheint es eine gute Verständigung zu geben. Die Reaktion (d.h. das Verständnis) ist recht gut vorhersagbar. Bei der Zweiten sieht es so aus, als ob in der Kommunikation etwas nicht stimmt. Seien Sie versichert, dass die zweite Person weder boshaft, noch statistisch oder chaotisch ist. Sie handelt bzw. versteht nach einem klaren inneren Schema (nennen wir es mal Motivation). Nur, Sie kennen es nicht und sind daher überrascht.

Sieht man mal davon ab, was das Beispiel für das „Motivieren“ von Menschen aussagen könnte, so zeigt es sehr eindrücklich, wie schnell eine eigentlich einfache Sache komplex und schwer vorhersagbar wird.

Komplexität erzwingt neue Führungsqualitäten

Die Auflösung des zweiten Beispiels ist: Die Person hat zwei „innere Zustände“ (Motivation). In welchem Zustand sich Ihr Gesprächspartner befindet, hängt jetzt von Ihrer gemeinsamen Vorgeschichte bzw. dem Verlauf bisheriger Kommunikation ab. Damit sind Sie beide gekoppelt und es entsteht eine gegenseitige Abhängigkeit. Bevor ich Ihnen nun die „Antwort“ gebe, möchte ich noch schnell erläutern, was das kleine Beispiel für die Trends und Veränderungen bedeutet, über die eingangs gesprochen wurde:

Der (zweite) Fall hat deutlich gemacht, wie schnell hohe Komplexität und Unvorhersehbarkeit entsteht. Die immer schneller werdende Vernetzung von (heute schon) digitalisierten Maschinen, Prozessen u.ä., die Globalisierung und alles was an Folgeeffekten daran hängt, führen dazu, dass sich auch unser Bild insbesondere der Führung (also dem Umgang mit Menschen) verändern muss. Die Bertelsmann Stiftung hat als Beispiel dafür verschiedene Organisations- und Führungsqualitäten in ihren bisherigen und künftig notwendigen Ausprägungen gegenübergestellt [2].

Zukünftige Führung benötigt andere Qualitäten und Qualifikationen (Quelle: Bertelsmann Stiftung: Zukunftsfähige Führung).

Zukünftige Führung benötigt andere Qualitäten und Qualifikationen (Quelle: Bertelsmann Stiftung: Zukunftsfähige Führung)[2].

Es kommt dabei klar heraus, dass die früheren Qualitäten konträr zu den Qualitäten stehen, die im künftigen Umfeld von den Unternehmen und den Menschen in den Organisationen benötigt werden.

Motivation ist des Rätsels Lösung

Jetzt zurück zu unserem Gedankenexperiment: Die zweite Person ist also unterschiedlich „motiviert“, je nachdem welche Aufgabe sie gestellt bekommt. Dadurch wird ihr Verständnis beeinflusst. Ich symbolisiere die beiden inneren Zustände mit einem Quadrat bzw. mit einem Dreieck – siehe Tabelle. Der Wechsel zwischen diesen beiden Motivationsausprägungen (Quadrat und Dreieck) hängt von der Vorgeschichte ab. Wie, das zeigt folgende Tabelle. Und daraus sehen Sie, dass die Person 2 Ihnen zwar „komplizierter“ erscheint als die erste (weil Sie die inneren Befindlichkeiten und die Dynamik, also den Wechsel von einem Zustand in den anderen nicht kennen). Sie ist aber immer noch einfach, denn sie besitzt eine klare und eindeutige (innere) Struktur, auch wenn diese für Sie zunächst im Dunkeln bleibt.

Dieses Bild zeigt, dass nach gewissen Vorhaben ein Wechsel in einen anderen Motivationszustand erfolgen kann, die Antworten jedoch immer einem klaren Schema folgen.

Beachtet man die verschiedenen Motivationszustände der Person 2, wird klar, dass auch deren Verständnis einem klaren inneren Schema folgt.

Mit dieser Einsicht wird klar, dass mit dem „D“ und der Antwort 4 ein erneuter Wechsel der inneren Einstellung („Motivation“) erfolgt (in den „Zustand“ Dreieck) und daher die Reaktion auf das Anliegen ›A‹ die Antwort 4 sein wird.

Viel schwieriger wird es, wenn Sie zu Menschen sprechen, die eine Vielzahl an „inneren Zuständen“ (Gefühle, Interessen, Auffassungsgabe, etc.) haben. Damit müssen Sie bei der Führung zurechtkommen.

Zusammenfassend kann man also folgendes sagen: die Umwelt, in der sich unsere Unternehmen und Organisationen zukünftig bewegen müssen, sind dynamisch und komplex. Um mit dieser Komplexität sinnvoll umzugehen, brauchen Sie Menschen in Ihrem Unternehmen, mit denen Sie den Weg Ihres Unternehmens beim Gehen finden. UM die Menschen dazu zu gewinnen, sich aktiv einzubringen, ist eine andere Art und Haltung bei der Führung notwendig und zwingend erforderlich. Da Führung zwischen Menschen über Kommunikation passiert und Menschen ebenfalls komplexe „Wesen“ sind, ist diese andere Art der Führung elementar wichtig, um in der raschen Dynamik unserer Märkte und Entwicklung erfolgreich zu navigieren.

[1]angelehnt an: Foerster, H. von (1988). Abbau und Aufbau. In: F. B. Simon (Hrsg.) (1977): Lebende Systeme. Wirklichkeitskonstruktion in der systemischen Therapie., Taschenbuchausgabe, Frankfurt (Suhrkamp)

[2] Gebhard B., Hofmann, J., Roehle H. (2015): Zukunftsfähige Führung. Bertelsmann Stiftung (http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/zukunftsfaehige-fuehrung/).