Warum finden viele Unternehmen Digitalisierung kompliziert?

Digitalisierung ist ein Schlagwort, das unterschiedlichste Bedeutungen besitzen kann. Big Data, Vernetzung, Industrie 4.0 und vieles mehr werden damit assoziiert. Und damit beginnen die Komplikationen.

Dr. Wolfgang Karrlein

Bild zeigt Tastatur mit einer mt "Digitalisierung" beschrifteten Taste, die von einem Finger gedrückt wird. Digitalisierung funktioniert bei den meisten Unternehmen leider nicht auf Knopfdruck. Dazu ist die Thematik zu kompliziert (Bild: zerbor/stock.adobe.com)

Digitalisierung funktioniert bei den meisten Unternehmen leider nicht auf Knopfdruck. Dazu ist die Thematik zu kompliziert (Bild: zerbor/stock.adobe.com)

Sucht man nach einem Synonym für Innovation, stößt man sehr schnell auf den Begriff „Digitalisierung“. Sobald es aber darum geht, diese umzusetzen, stehen viele Entscheidungsträger in Unternehmen vor zwei Schwierigkeiten.

  • Zum einen ist oft unklar und unscharf, was mit dem Schlagwort „Digitalisierung“ überhaupt gemeint ist. Digital läuft ja schon Vieles seit Langem ab. Vielfach bewegt sich der Begriff nebulös zwischen Big Data, der Vernetzung unter Firmen oder der Automatisierung hin und her.
  • Zum Zweiten werden im gleichen Atemzug Veränderungen in der Organisation genannt, die scheinbar eng mit der erfolgreichen Nutzung der Digitalisierung verbunden sind. Dinge wie agile Unternehmen, holokratisch arbeitenden Unternehmensteile und anderes werden irgendwie als mit der Digitalisierung verknüpft und manchmal sogar als zwingend damit verflochten angesehen.

Letztlich sollen digitalen Technologien aber Antworten auf die folgenden Fragen liefern:

  • Wie kann ein Unternehmen Daten in Informationen umwandeln, so dass bessere Entscheidungen getroffen werden können?
  • Wie muss ein Unternehmen aussehen, das in einem durch digitale Technologien geprägten Umfeld erfolgreich ist, ist?

Ein oft übersehener oder unterschätzter, nicht-technischer Aspekt: Digitale Technologien greifen unweigerlich tief in die Strukturen von Organisationen ein. Zwei wesentliche Strukturelemente bestimmen jede Organisation: Seine Formalstruktur, bestehend beispielsweise aus Regeln, Zielen, Hierarchien, Entscheidungswegen und dem Personal, und seine informale Struktur, wie der „kleine Dienstweg“, über lange Zeit eingeschlichene Routinen oder Personalentwicklung über den „Nasenfaktor“. Keine Organisation kann nur nach formalen Strukturen überleben. Da nicht alles vorgedacht werden kann und da Unternehmen mit widersprüchlichen Anforderungen umgehen müssen, sind diese informalen Strukturen für Unternehmen überlebenswichtig.

Die Einführung digitaler Technologien besitzt Nebeneffekte

Was bedeutet Digitalisierung für diese Strukturen? Daten sind weder eindeutig, noch führen sie zwingend zu objektiven Folgerungen. Sie können je nach Blickwinkel und Interessen von Personen und Abteilungen – den sogenannten lokalen Rationalitäten – anders interpretiert werden. Die abgeleiteten Entschlüsse werden infolgedessen auch unterschiedlich sein. Daher hat die Einführung von digitalen Technologien zwei Effekte zur Folge:

  • Wer Daten erhebt und sie analysiert, um daraus Entscheidungen abzuleiten, besitzt die Deutungshoheit und erhält erhebliche Macht. Denn, wer die Datenerhebung – wie beispielsweise ein Chief Digital Officer – steuert, entscheidet darüber, welche Daten denn eigentlich in das Unternehmen gelangen und damit für Interpretationen und Entscheidungen zur Verfügung stehen können. Und, wer anschließend die – gefilterten – Daten interpretiert, beeinflusst, was überhaupt als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stehen kann.
  • Der zweite Effekt ist, dass durch die Einführung von digitalen Technologien ein erheblicher Druck auf die wichtigen informalen Strukturen ausgeübt wird. IT-Systeme, softwarebasierte Analyseroutinen sind Teil der formalen Struktur. Sie verdrängen informale Strukturen. Wenn informale Strukturen transparent werden, kann das dazu führen, dass eigentlich sinnvolle Trampelpfade aufgegeben werden müssen, weil sie den formalen Regeln widersprechen. Neue Informalitäten werden entstehen, die sich möglichweise noch besser „verbergen“, um sich vor dem Entdeckt werden zu „schützen“ und damit von den formalen Strukturen zu entkoppeln.

Das alles sind Aspekte, welche die Digitalisierung für Unternehmen so schwierig machen. Und das ist vielleicht auch gut so, wenn man sich die vorgenannten Effekte vor Augen führt. Denn es wäre schon hilfreich, wenn bei den Entscheidungen, was „Digitalisierung“ für eine Unternehmung sein soll, wo und wie sie wozu helfen soll, in einem Diskurs geführt werden würde. Denn man sollte sich bei den Entscheidungen schon darüber klar sein, was man sich möglicherweise einbrockt.