Wie man VUCA mit VUCA begegnet

Veränderungen sind in unserer Zeit an der Tagesordnung und nicht immer willkommen. Aber wie reagieren die Menschen darauf? Das kommt sehr stark auf den jeweiligen Grundtypen an.

Wohin geht die Reise: Veränderungen sind komplex und manchmal schwer zu greifen. Diese Situation wird gerne mit dem Begriff VUCA umschrieben.

Wohin geht die Reise: Veränderungen sind komplex und manchmal schwer zu greifen. Diese Situation wird gerne mit dem Begriff VUCA umschrieben.
© iStock.com / alphaspirit

Das Internet der Dinge (IoT, Internet of Things), die Industrie 4.0, oder einfach „nur“ der technische Fortschritt, wie beispielsweise die Energiewende oder der Übergang zur Elektromobilität: All dies bringt Wandel und Umbruch mit sich. Was dann passiert, kennen Sie von Ihrer eigenen Organisation sicherlich zur Genüge: Sobald Veränderungen anstehen, zeigen sich sehr schnell drei Grundtypen von Menschen.

Da sind zunächst einmal diejenigen, die neugierig sind. Die mitmachen. Die vielleicht sogar aufblühen, weil sie die Veränderung als Chance für sich oder ihr Unternehmen begreifen.

Dann gibt es diejenigen, die an der Seite stehen. Die unschlüssig, eventuell sogar skeptisch sind. Die abwarten und beobachten. Und die sich nicht sicher sind, ob nicht schon wieder eine andere Sau durchs Dorf, sprich die Organisation, getrieben wird.

Und schließlich diejenigen, die bremsen, nörgeln. Oder geradeheraus aktiv Widerstand leisten. Sei es offen oder hinter den Kulissen.

Jeder Grundtyp kann sein Verhalten begründen

Was treibt die Menschen der jeweiligen Grundtypen an, was sind ihre Motive? In den Gesprächen, die wir bei canmas im Rahmen unserer Veränderungsprojekte führen, hat so gut wie jeder einen subjektiv rationalen Grund für sein Verhalten:

Die Menschen in der ersten Gruppe sehen Chancen, sind vielleicht auch erleichtert, weil sie hoffen, dass sie mit den Veränderungen in eine bessere Zukunft aufbrechen, oder ein Risiko, eventuell sogar eine Gefahr, für das Unternehmen abwenden können. Oder sie sind einfach begeistert, da sie gestalten dürfen, gefragt werden. Und ihre Tätigkeit dadurch viel sinnhaltiger wird.

Die zweite Gruppe hat sich möglicherweise schon einmal eine blutige Nase geholt. Vielleicht haben diese Menschen darauf vertraut, dass ihre Organisation wirklich eine Veränderung möchte – nur, um dann festzustellen, dass das nur Lippenbekenntnisse waren. Anderen geht der Wandel zu schnell. Ein oft gehörtes Argument ist in diesem Fall: „Wir brauchen doch die wirtschaftliche Basis und Stabilität, damit wir uns den Wandel auch leisten können“. Und wieder andere sind von der Dynamik zunächst irritiert. Sie versuchen, die Zusammenhänge zu verstehen, was abhängig von der Art und Weise, wie die Veränderung kommuniziert wurde, ein komplexes Unterfangen darstellen kann.

Die dritte Gruppe befürchtet einen Kontrollverlust, vielleicht auch den Verlust einer hart erarbeiteten Position. Oder sie sehen Risiken, die aus ihrer Sicht nicht angesprochen wurden. Oder es ist die Angst vor Chaos, davor, dass sich bestehende Strukturen und Ordnungen auflösen, ohne dass eine stabile Grundlage vorhanden ist und ohne dass ein neuer Rahmen geschaffen wurde. Diese Angst begründet sich in der gefühlt immensen Komplexität, die eine Veränderung meist mit sich bringt.

Die Change Agents – also diejenigen, die das vorantreiben sollen – stehen hier zusätzlich zur Vielschichtigkeit ihrer Aufgabe noch vor einer weiteren Komplikation: Sie müssen alle diese Menschen und ihre Motive einbinden, aktivieren und deren Tun mit einer zielgerichteten Veränderung in Einklang bringen.

Ambiguity: Die Unsicherheit ist einer der Faktoren, die Veränderungen prägen.

Ambiguity: Die Unsicherheit ist einer der Faktoren, die Veränderungen prägen.
© burak çakmak / Fotolia

Unklare Perspektiven schaffen Verunsicherung

Diese Situation wird oft mit dem Akronym VUCA beschrieben: Volatility (Unbeständigkeit) – Uncertainity (Ungewissheit) – Complexity (Vielschichtigkeit) – Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Und dies alles von innen wie von außen.

Es gibt aber noch ein gänzlich anderes, positiv besetztes, VUCA. Und dieses VUCA bietet eine Richtschnur, einen Kompass, mit dem man mit einer solchen Situation adäquater umgehen und auch führen kann.

Die Grundlage dafür ist die Überzeugung, dass heute Orientierungswissen mehr gefragt ist, als Fakten- (Verfügungs-)wissen[1]. Denn diese Situationen zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass Fakten zwar nicht an Bedeutung, aber an Gültigkeit verlieren. Weil neue, eventuell erst noch zu erkennende, Fakten entstehen. Zumal sich weder aus der Vergangenheit, und nicht einmal aus der Gegenwart, die Zukunft zuverlässig vorhersagen lässt. Passender ist es zu wissen, wie man sich in dieser Zeit orientiert, wie man navigiert, um das Ziel zu erreichen.

Diese Überzeugung bedeutet aber einen Paradigmenwechsel weg vom klassischen Verständnis von Führen und Führung. Der „Oben“ weiß nicht mehr alles besser, und er hat nicht mehr alle Informationen. Sondern er ermöglicht die Veränderung durch eine gute Balance zwischen der Schaffung von Freiräumen und dem Vorgeben, und ja, auch dem Vorleben, der Richtung. Dazu braucht es Mut und innere Kraft. Die Überzeugung muss sich aber ebenso in der Haltung, dem Inhalt und der Struktur der Kommunikation und dem eigenen Verhalten widerspiegeln. Und hier kommt dieses „andere“ VUCA ins Spiel. Es kann als Richtschnur dienen, dies alles zu steuern.

Ein positives VUCA hilft bei der Bewältigung

Das „V“ im „positiven“ VUCA steht für Vision: Dabei geht es darum, dass eine gemeinsame Vorstellung, wo die Reise hingeht, entwickelt und auch geteilt wird. Vorstellungen wirken dann aktivierend, wenn sie attraktiv, erstrebenswert, sinnvoll sind. Vorstellungen brauchen aber die Mitwirkung aller, und schon bei der Erarbeitung. Und das funktioniert nur durch Öffnen und Beteiligen, es geht um Aktivierung.

Das „U“ steht für Understanding, also Sinn, Verstehen. Menschen werden von sich aus aktiv, das heißt, intrinsisch motiviert, wenn sie die Veränderung verstehen, die Ziele begreifen und sinnvolle Zusammenhänge erkennen. Dann gewinnt dies alles an Wert. Und dies auch, weil selbst, aber durchaus geradeso im Zusammenspiel und Austausch mit anderen, ein Verständnis aufgebaut wurde. Und hier kommen die weiteren deutschen Bedeutungen des englischen Wortes Understanding ins Spiel: Denn es bedeutet auch Einverständnis, Vereinbarung, Übereinstimmung, also eine gemeinsame Übereinkunft über das Vorgehen.

„C“ steht für Clarity, also Klarheit und Transparenz, womit zwei verschiedene Aspekte gemeint sind. Zum einen Klarheit um Sinne von verständlichen und konsistenten Botschaften. Zum anderen Klarheit und Transparenz bei Aspekten, die im Augenblick noch nicht klar(er) gesehen werden können. Die Welt heute ist zu komplex und zu dynamisch, als dass wir genau planen könnten, was wie in welcher Reihenfolge passiert. Es gibt Unsicherheiten, Widersprüchlichkeiten. Und die dürfen, nein müssen sogar, offen benannt werden. Aus dem Projektmanagement ist die rollierende Planung[2] bekannt. Dabei handelt es sich um eine periodenorientierte Planungsform, bei der eine bereits erfolgte Planung nach bestimmten Zeitintervallen aktualisiert und überarbeitet wird. Softwareentwicklern ist vielleicht die verwandte Form des evolutionären Modells bekannt. Auch beim Umgang mit Veränderungen ist eine permanente Balance zwischen Planung und Anpassung erforderlich. Wer vorgibt genau zu wissen, wie sich dynamische Systeme entwickeln, verliert schnell seine Glaubwürdigkeit.

„A“ steht nun für Agilität. Das ist – anknüpfend an den vorherigen Aspekt – die Fähigkeit, flexibel und anpassungsfähig zu handeln, und ist daher die passende Haltung für den Umgang mit Veränderungen. Dies bedeutet aber nicht eine Haltung frei nach dem Motto „was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“, also nicht eine gewisse(nlose) Wendefähigkeit seiner Meinung. Es ist eine Haltung, die achtsam mit der Dynamik selbst, aber ebenfalls auch mit denjenigen Menschen umgeht, die die Veränderung inmitten dieser Dynamik strukturieren und formen sollen. Agilität hat mit Wahrnehmen, Verstehen und Lernen zu tun.

Die Menschen, die Veränderungen in Unternehmen bewirken, steuern und voranbringen wollen, sind daher Impulsgeber, Berater und Lotse in einem. Eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Und hier hilft das positive VUCA, um richtig mit VUCA umzugehen.

[1] Zuerst wurde die Unterscheidung von Orientierungs- und Verfügungswissen von dem deutschen Philosophen Jürgen Mittelstraß formuliert. Siehe Mittelstraß, Jürgen: Der Flug der Eule. Von der Vernunft der Wissenschaft und der Aufgabe der Philosophie. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1989.
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Rollierende_Planung